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Die alte und die neue Digitalisierung

Der Versuch mit dem Begriff Digitalisierung etwas begrifflich oder greifbar zu machen ist zum Scheitern verurteilt. Differenzierung täte gut. Zwei Schubladen sind kein guter Anfang, aber immerhin  einer. 

E-Learning kam mit der Digitalisierung in den zweiten Frühling, aber nicht raus aus der alten Schublade.

 

Doch wir fangen erst mal von vorne an.


Ich weiß gar nicht, ob es für meine Generation oder Kohort einen Namen gibt - vielleicht sowas wie Digital Daddy oder Digital  Prehistoric? Jedenfalls war für mich nach meinem (braunen!) Schneider CPC 6128 – ich hatte keinen C64 sehr wohl dann aber einen Amiga – und den folgenden Jahrzehnten von EDV und BTX (80er), Multimedia (90er) und Online (00er), der Übergang in die aktuelle Digitalisierung nicht mehr deutlich genug abzugrenzen. Neben dem Geburtsjahr wirkt hier aber auch mein gewisser digitaler Lebenslauf. Mein Banknachbar aus der Grundschule mag da einen ganz anderen Blickwinkel entwickelt haben.  

Wenn ich den Begriff der Digitalisierung  dingfest machen möchte, müssen zwei Schubladen her.

 

Schublade Nummer eins, oder: die Alte Digitalisierung

Eine gewisse horizontale Dimension. D.h., die Aufregung begründet sich nicht in den technischen Entwicklungen, sondern in der Verbreitung etablierter Technologien. Sie wird darin münden, dass analoge Alternativen, bzw. deren Nutzer verschwinden: Bankfiliale, Videothek, Rathaus, Fahrkartenautomat. 

Besonderheit hier, für Digital Daddies and Mummies: für uns ist dies keine Überraschung und keine Aufregung, denn das war schon vor gut 10 Jahren absehbar, wenn nicht sogar greifbar. Disruptiv haben wir übrigens schon mit dem Ende von Viva, der CD, Napster und Myspace gelernt.

 

Deshalb jetzt Back To The Future....


Schublade Nummer zwei, oder: die Neue Digitalisierung

Was ist nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Was ist nicht EDV und Multimedia im neuen Gewand? Welche tatsächlichen qualitativen Änderungen stehen also gerade im Raum?  Nein, es sind auch nicht (alleine)  die drei V-Arme der Big Data Krake: Volume, Variety und Velocity. Die Drei waren auch  1988, 1998 und 2008 in gleicher Weise nach einem Blick in den Rückspiegel zu sehen gewesen. Und gewachsen wird  nach dem Mooreschen Gesetz auch schon seit 1965. 


VUCA macht  am Ende auch nicht den Unterschied. Oder war der Lauf der  Dinge zu Zeiten der Automatisierung der Fertigung in den 80er Jahren beständig, sicher, übersichtlich und eindeutig? Genannt hat man es jedenfalls anders, denn der VUCA-Begriff ist aus den 90er Jahren, sagt Wikipedia. VUCA und die drei Vs haben eines gemein: zu viele Interpretationen und  (angeblich) kausale Ableitungen. Derzeit absehbaren Einfluß (Top 3) werden nüchtern betrachtet haben:

  1. Verdrängung klassischer Nutzer- Schnittstellen  (vornehmlich Tastatur) durch zunächst Sprache, dann Gestik und Mimik.
  2. Gegenstände als Datenlieferant, -träger,- verarbeiter  und -vernetzer ( kurz: das Internet of Things)
  3. Für uns Menschen nicht mehr nachvollziehbare, scheinbar unendliche Rechenleistung (zu oft als Künstliche Intelligenz bezeichnet).    

Dasselbe in Grün beim Thema E-Learning

Auch durch diese "Branche" zieht sich diese Linie. Die einen erkennen (erst jetzt) im Rausch der Digitalisierung 20 Jahre alte Verkaufsargumente: schnelle Verbreitung und  Anpassungen, keine Reisekosten, total günstig. Aspekte der neuen Digitalisierung spielen hier noch keine Rolle.

Die oben genannte Top 3 neuen Digitalisierung, gespiegelt auf das Lernen bedeutet:

  1. Lernen als immer weniger abgegrenzter Vorgang, der mit anderen verschmilzt – vornehmlich mit dem Arbeiten.
  2. Zeit- und ortsunabhängig lernen (jetzt aber wirklich!)
  3. Lernen an und in Simulationen (jetzt aber wirklich!)1

Ich weiß, man kann weiter denken und interpretieren. Doch selbst auf die volle Wirkung dieser Aspekte gilt es sich jetzt vorzubereiten. Aus dem großen Korb der Aufgaben schauen erst mal folgende oben raus:

  • Neues Selbstverständnis und Wertschätzung  des Lernens 
  • Neue organisatorische Rahmenbedingungen für das Lernen
  • Die deutliche Kurve hin zu mehr Augenmerk auf inhaltliche  Qualität des Contents ist mehr als überfällig. 

Die Vision von Strg-L

Wir sitzen gerade zu oft im Doktoranden-Seminar und vergessen darunter zu sehr, die Schulaufgaben für das kleine Einmaleins zu machen, die wir morgen abgeben müssen.

Die Aufregung um all das was kommen könnte, lenkt davon ab, uns für den Umgang mit den heute technischen Selbstverständlichkeiten zu ertüchtigen. Im Doktoranden-Seminar säßen wir dann sicher gelassener.

 

Also: Schublade auf, Stifte raus!


Eine aktuelle Einordnung findet sich bei: Dr. Lutz Goertz, Virtual Reality Learning – Zeit für didaktische Konzepte, http://digitalisierung-bildung.de/2018/05/14/virtual-reality-learning-zeit-fuer-didaktische-konzepte/, zuletzt aufgerufen am 22.5.18

 

Photos by Frederica Galli and John Salvino and Mike Petrucci on Unsplash

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