· 

MOOC-Venture Episode 2

Ende letzten Jahres kam ich zurück von meiner ersten MOOC- Reise (Mein erster MOOC) und hatte mir da schon vorgenommen, wieder aufzubrechen. Oft sind es ja die unerwarteten Erlebnisse, die eine Reise prägen. Und so war es auch beim Kurs Elements of AI. Af meiner Ansichtskarte steht:

 

Weniger ist mehr

Content schlägt Blingbling


Der Online-Kurs Elements of AI bezeichnet sich selbst erst mal gar nicht als Massive Open Online Course (MOOC). Das mag daran liegen, dass er vermeiden möchte, durch eine ggf. fremde Begrifflichkeit unnötige Zugangsbarrieren zu schaffen  – denn eine möglichst große und breite Zielgruppe zu erreichen, ist seine zentrale Absicht. Genau damit erfüllt Elements of AI die ursprüngliche Definition eines MOOC: frei verfügbar für jeden und somit für sehr viele. Der Kurs entstand 2018 aus einer Zusammenarbeit der IT-Firma Reaktor und der Universität Helsinki mit dem übergeordneten Ziel "Menschen dabei zu helfen, sich Künstliche Intelligenz (KI) zunutze zu machen, anstatt sich davon bedroht zu fühlen¹. U.a. unterstützt vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie dem deutschen Wirtschaftsministerium liegt der Kurs inzwischen auch auf Deutsch vor. 

 

 

 


Infrastruktur

 

Der Kurs sitz wie ein Maßanzug. Das hat vom ersten Login an damit zu tun, dass man nicht auf irgendeiner  Lernplattform mit Standardfunktionalitäten unterwegs ist, denen sich der Kursanbieter und letzendlich der Lerner fügen muss. Ich fühlte mich nie wie in einem LMS, stets stand mein Learning im Vordergrund und nicht die Tatsache, dass das irgendjemand für mich managen müsse. 

Vor geraumer Zeit, habe ich mir mal Gedanken darüber gemacht, was ich mir von einer Netflixisierung des Lernens (eigentlich) wünschen würde. Dieser Kreis schließt sich hier, denn Elements of AI erfüllt genau diese Prinzipien der Reduzierung.

Auch sonst hält mich nichts vom Lernen ab. Portal und Kurs/ Content verfließen zu einer Einheit, sind somit eine User Experience. Deshalb gilt für beides:

  • (User Experience) Design ist makellos responsive und selbsterklärend.
  • Das Anmeldeverfahren ist transparent und schlank.
  • Die Navigation entbehrt sich jeglicher Erklärung.

Besonders beeindruckt haben mich die interaktiven Übungen. Das gilt insbesondere für ihre didaktische Qualität (später mehr), aber auch für die nahtlose technologische Einbindung. Die Übungen sind mitten in den Lerneinheiten, kein Klotz am Ende einer Einheit oder des Kurses. Direkte Einbettung in den Content und Identisches Look & Feel, statt des Sprunges in ein (gefühltes) Dritt-Tool aus Multiple Choice Templates. In der Summe sind die einzelnen Übungen dann auch Basis für die Teilnahmebestätigung.


Kleiner Exkurs: Mitten in meine Gedanken zu den Besonderheiten in Elements of AI stieß ich auf den Beitrag One Course, Three Platforms: How a Popular Programming MOOC Differs on Coursera, edX, and FutureLearn. Dort macht sich Pat Bowden den Spaß und absolviert ein und denselben Kurs auf den Systemen der MOOC-Platzhirschen um die Infrastruktur miteinander zu vergleichen.

Content

 

So viel vorweg: es ist die Qualität des Contents die Elements of AI zu etwas ganz besonderem macht. Der Inhalt ist so gut (aufbereitet), dass ich eigentlich erst am Ende so richtig realisiert habe, dass der Kurs vollständig auf die Dinge verzichtet, die eLearning Marktschreier sehr laut rufen. In Elements of AI gibt es kein Video, kein perfekt ausgeleuchtetes Experten-Interview, kein Erklärvideo, keine Spielchen. Stattdessen:

  • Texte wie aus einer Feder, mit rotem Faden und didaktischer Schreibe, statt Copy & Paste Versatzstücke und Links auf Eh-schon-da-PDFs.
  • Wahrhaft interaktive Übungen, die Wissenstransfer ermöglichen (ich weiß ein großes Wort), statt der Abfrage deklarativen Wissens.

Es gibt grundsätzlich zwei Typen von Übungen im Kurs.  Einerseits sind das die "pogrammierten" Übungen mit einem direkten, automatisierten Feedback. Darunter auch die ein oder andere bei der man sich seine Antwort schon 15-30 Minuten zurechtlegen, bzw. zurechtrechnen muss.  Den zweiten Part bilden die "Freitextaufgaben", oder wie sie in meiner Schulzeit hießen: freien Erörterungen. Hier setzt Elemts of AI konsequent auf das Prinzip des Peer Review.

 


Interaktion? Kollaboration? Peer Review!

 

Die Freitextantworten sind im Kurs keine Ausnahme sondern bilden ungefähr die Hälfte der Übungen und somit der Bewertungsgrundlage. Es handelt sich nicht um Stichwort-Antworten, sondern es gilt hier Fließtext im Sinne einer Elobaration abzuliefern. Die Antworten werden anderen Teilnehmern des Kurses anonym zum Peer Review zugeweisen. ich selbt muss mindestens drei Antworten von Teilnehmern bewerten um meine Aufgabe abzuschließen. Ein Tutor sieht laut Beschreibung die Antworten dann ein, wenn sie unterdurchschnittlich bewertet werden. Ein solches Prinzip steht und fällt mit dem Teilnehmerdurchlauf. Ich  bekam jedenfalls meine Bewertung immer nach weniger als 24 Stunden.

Mir ist klar, dass eine solch reduzierte Bewertungsskala weder ein qualitatives Review  noch ein qualitatives Feedback dokumentieren  kann. Nichtsdestotrotz: Das Peer Review löst einen kleinen Teil des MOOC-inhärenten Widerspruchs zwischen Teilnehmermenge und Interaktion. Zumindest im Ansatz ermöglicht der Peer Review Perspektivenwechsel und somit eine Öffnung des Lehrplans.

 

Im weitesten Sinne offene Diskussionen sind im Kurs konsequent in eine Community auf reddit ausgelagert. Die Moderatoren/ Tutoren sind hier jedoch zeitnah aktiv.


Vision oder Illusion

 

Elements of AI ist für mich in zweierlei Hinsicht visionär.

  1. Der Kurs zeigt, wie digitales Lernen gesellschaftliche Relevanz erlangen kann. Hier wird ein breiter Lernbedarf identifiziert und adressiert. Durch eine ausreichend große und homogene Zielgruppe (gemeinsames Merkmal: Themeneinsteiger) kommt der Skalierungseffekt von digitalem Lernen zur Entfaltung.  Ich male mir aus, wie auf diesem Wege, eine Breite der Gesellschaft zur Diskussion und somit demokratischen Teilhabe und Meinungsbildung ermündigt wird.
  2. Mit seiner konsequenten Reduzierung, bzw. Fokussierung von Funktionen  bringt der Kurs das MOOC-Konzept in ruhiges Fahrwasser. Elements of AI hat einen klar definierten Selbstzweck. Im Gegensatz zu vielen anderen MOOCs haftet ihm nicht der Eindruck an, dass er einer ökonomischen Zweitverwertung entstammt. Damit holt er E-Learning aus der verhängnisvollen Argumentationsfalle, eine sparsame Version des Präsenzlernens zu sein.

1 Auszug aus FAQ zum Kurs Elements of AI: https://www.elementsofai.de/faq/wie-ist-dieser-kurs-entstanden, aufgerufen am 4.4.2020

Kommentar schreiben

Kommentare: 0