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Mein erster MOOC

Massive Open Online Courses habe ich immer ein bisschen links liegen lassen. Für mich waren sie irgendwie reaktionär: linear und starr angelegte Lehrpläne mit Material zum Selbststudium. Zwischendurch ein Video und natürlich ein Quiz, social und kollaborativ wird alles durch Einbindung eines Diskussionsforums. In Summe also alles, was ein klassisches LMS seit 20 Jahren bietet.

Doch jetzt habe ich mich auch mal auf die Reise gemacht. Fazit: Bei einem One-Size-Fits-All-Ansatz, wie es ein MOOC nunmal immer  ist, findet jeder seinen Stein des Anstoßes, doch ein MOOC ist kompromisslos digital, fordert Eigenverantwortung und den Blick über den Tellerrand. 


Bei meiner MOOC-Zurückhaltung wäre es wahrscheinlich geblieben, wenn ich nicht auf die Ankündigung des virtuellen Digital Roundtable Learning Analytics durch Thomas Jenewein gestoßen wäre (Aufzeichnung der Veranstaltung auf YouTube). Prof. Dr. Ifenthaler von der Universität Mannheim, informierte im Rahmen seines Beitrages über den (kostenfreien) MOOC "Learn2Analyze", initiiert durch die gleichnamige, EU-geförderte Initiative ( Learn2Analyze). Und so war sie dahin, meine Zurückhaltung.

Obwohl der Inhalt des Kurses, Learning Analytics , für mich der entscheidende Auslöser war, soll dieser im Folgenden nicht im Mittelpunkt stehen, sondern lediglich ein Rückblick auf mein Lernerlebnis. 

In aller Kürze (Executive Summary). MOOCS...

  • sind kein vornehmlich technologisches oder didaktisches Konzept, sondern ein Organisieren und Orchestrieren von Lerninhalten und oft ein Geschäftsmodell,
  • belohnen Durchhaltevermögen,
  • benötigen eines hohes Maß intrinsischer Motivation,
  • bieten Raum für Perspektivenwechsel und Diskurs,
  • funktionieren bei Prüfung und Zertifizierung nach ganz alten Mustern.

Eine (etwas genauere) Einordnung von MOOCs

Das Alleinstellungsmerkmal von MOOCs liegt per Definition nicht in deren  inhaltlichen und technologischen Zusammenstellung, sondern: 

Allgemein lassen sich MOOCs dadurch charakterisieren, dass sie keine Gebühren, keine Voraussetzungen außer Internet-Zugang und Interesse seitens des Nutzers verlangen"  (Wikipedia et al.).

Das Prinzip der Gebührenfreiheit jedoch, wird zunehmend aufgeweicht. Üblich ist inzwischen, dass zumindest für eine Zertifizierung Geld verlangt wird. Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe z.B. Mooin (jetzt Oncampus) oder OpenCourseWorld. Letzteres war auch die Plattform für meinen MOOC. Wie diese Reise der Monetarisierung rückblickend z.B. beim Anbieter Coursera verlief, zeigt dieser Artikel: Coursera’s Monetization Journey: From 0 to $100+ Million in Revenue.¹



Die schönen Momente meiner Reise


Ja, in mir hat der MOOC etwas ausgelöst. Das hat vornehmlich damit zu tun, dass ich mich seit sehr langer Zeit mal wieder dabei beobachten konnte, wie ich mit einem vorgegebenen Lehrplan umgehe.

  1. Argumentiere ich selbst gerne gegen ein Lernen für Tests und Zertifikate, haben eben diese dann doch für eine gewisse positive Aufregung bei mir gesorgt. Trotz der Schwächen in den Aufgabenstellungen (siehe unten): ich wollte bestehen. Auch die Zwischentests haben bei mir ihren Zweck erfüllt: ich wollte eine gewisse Sicherheit, dass ich die zentralen Punkte mitgenommen habe. 
  2. Für meine tägliche MOOC-Stunde musste ich den inneren Schweinehund kaum überwinden.  Das lag vornehmlich an meiner Neugier auf das Thema und zudem, dass das Thema in Wissenschaft und Praxis noch nicht lange beackert wurde. Es bestand also stets eine Neugier auf unbekannte Inhalte: ein gewisses Adventskalender-Feeling. Fakt ist, dass 100 Lernstunden (und das ist für einen MOOC keine ungewöhnliche Lerndauer)  ein gewisses Durchhaltevermögen verlangen. Kleiner Exkurs: Generell haben MOOCs dementsprechend "verlässliche" Abbruchsquoten von über 90%. Vgl Abb. 1: Auch bei MIT und in Harvard erreichten die Erfolgsquoten in den letzten Jahren keine 5%²

Percentage of course completion by year and cohort of learners.

Abbildung 1: Abschlussquoten MOOCs von MIT und Harvard: The MOOC pivot - Scientific Figure on ResearchGate. Available from: The MOOC pivot - Scientific Figure on ResearchGate. Available from: https://www.researchgate.net/figure/Percentage-of-course-completion-by-year-and-cohort-of-learners_fig2_330316898 [accessed 20 Dec, 2019]

  1. Die MOOC -Kapitel/ -Wochen wurden von unterschiedlichen Insititutionen bespielt (Hochschulen und Unternehmen). Zu Beginn störte ich mich sehr an den resultieren Redundanzen, wie neuerliche Definitionen von Begriffen.
  2. Doch mit zunehmender Kapitelanzahl und Vogelperspektive, sah ich darin einen Reiz und didaktisches Potential: Lernen in Perspektivenwechsel und Diskurs. Plakatives Beispiel:  es ist hochinteressant und zugleich herausfordernd zwischen den Learning Analytics Definitionen eines deutschen Hochschul-Lehrstuhls und eines amerikanischen Unternehmens auszutarieren.
  3. Ganz ähnlich ging es mir mit der Breite der Themen. Kapitel, die auf den ersten Blick nicht zu meiner Erwartungshaltung an den Kurs passten (z.B. Einsatzzenarien im Primarschulwesen), hätte ich zunächst gerne weggecklickt. Rückblickend waren diese Themen aber allesamt horizonterweiternd.

Die ermüdenden Tage der Reise

  1. Potentiale der Interaktion wurden in meinem MOOC kaum genutzt, bzw. gefördert. Mit den besten Absichten waren zwar Reflektionsaufgaben in Foren eingestreut, die dann aber lediglich zur "Ablage von Antworten" dienten. Eine Moderation fand nicht statt, eine direkte Frage von mir an den Moderator wurde nicht beantwortet. In einer intensiven Moderation durch fachliche Kommentierung, Richtigstellungen, Verweise auf andere Antworten oder Quellen liegt natürlich ein unheimliches Potential, macht einen guten MOOC dann aber auch zu einem betreuungs- und somit auch kostenintensiven MOOC (in meinem Fall waren dann immerhin auch 1600 Teilnehmer eingeschrieben). Die Bearbeitung dieser Aufgaben war demnach auch kein Kriterium für das formelle Bestehen des Kurses.
  2. Kontraproduktiv war es dann natürlich, wenn im Forum deklaratives Wissen abgefragt wurde und sich nach den ersten Beiträgen alle weiteren erübrigten.
  3. Seitens der Teilnehmer waren tiefergreifende Antworten im Forum selten.  Andererseits: wer könnte die potentiell 1600 umfangreichen Beiträge überblicken?
  4. Ein Pre-Course Survey war Voraussetzung für die Freischaltung zum Kurs, ein Post Course Survey für das Zertifikat. Diese Daten waren somit die Währung mit dem ich den eigentlich kostenlosen Kurs bezahlt habe.
  5. Ich ende womit auch der MOOC sein Ende fand: der Abschlusstest. Der war ein richtiges Brett. Die 100 Fragen (klassiches Prüfungsformat: Multiple Choice & Co.) waren eine echte Fleißarbeit. Dieser Fließ schmerzt besonders wenn gefragt wird, ob ein theoretischer Framework aus 7 oder 8 Bestandteilen besteht. Online-Lernen hat beim Umgang mit dem Thema Prüfung und Zertifizierung noch einen sehr langen Weg vor sich.

Vision oder Illusion?

 

MOOCS sind nach dieser praktischen Erfahrung ein Gegenentwurf zum aktuell laut in den Ohren klingelnden und atemlosen Learning on Demand. Ein MOOC gibt Gelegenheiten Themen zu erkunden, Themen zu vernetzen, substantiell zu vertiefen. Lernen auf Vorrat im positiven Sinn. Und eines muss man dem MOOC lassen: er ist kompromisslos digital. Seinen etwas toleranteren Artgenossen wie dem Blended Learning, Flippen Classroom etc. scheint er zuzurufen: verbiegt  euch nicht so, steht zu euren Schwächen, setzt voll auf Eure Stärken.

Übrigens: der Learn2Analyze MOOC wird im Februar 2020 wiederholt. Und auch meine nächste Reise habe ich schon gebucht: https://www.elementsofai.de

Wer hätte das gedacht....


1 Diesen Artikel habe ich der tollen Übersicht von Jochen Robes entnommen, der über die Jahre in seinem Weiterbildungsblog über eine illustre Sammlung an Publikationen zu MOOCs angesammelt hat.

2 Justin Reich und José A. Ruipérez-Valiente, Science, Vol. 363, No. 6423, Seite  130-131 (via Researchgate) liefert Zahlen der MOOC Vorreiter MIT und Harvard. Besonders hier: es werden neben der Grundgesamtheit auch die Kohorte betrachtet, die zu absolvieren wollten oder für den Abschluss bezahlten.

 

Photo by Miguel Henriques on Unsplash

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