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Neue Zahlen, alte Welt

Jeder zweite Erwerbstätige nimmt jährlich an einer Weiterbildung Teil. Doch für die Karriere bringt das Nichts – so die aktuellen Ergebnisse einer Langzeitstudie. Doch ist das heute überhaupt Ziel einer Weiterbildung ? Oder eher Zeugnis eines anachronistischen (Weiter-) Bildungsverständnisses inklusive Zertifikatshörigkeit und replikativer Karriereleiter? Die steile These gibt Anlass zur Reflektion über gewohnte Weiterbildungs-Selbstverständnisse.


Wenn es um  (Weiter-) Bildung geht, bin ich derzeit immer froh über Zahlen. Woran das liegen mag? Viele (wenn auch) gültige Wahrheiten werden zu endgültigen erhoben. Thesen (oder besser: Schlagzeilen zur Zukunft der Bildung) nehme ich oft als zu undifferenziert wahr. 

Basieren die Thesen aber auf quantitativen Grundlagen, bin ich der Hoffnung, dass abgeleitete Aussagen auch den empirischen Gesetzmäßigkeiten entsprechen.  Beschäftigt sich also eine Studie mit Weiterbildung von Handwerkern in ländlichen Gegenden, dann sollen abgeleitete Erkenntnisse doch bitte auch vornehmlich für ebendiese Personengruppe gelten. 


 In dieser Hinsicht gute Qualität versprach mir eine Studie auf die ich indirekt über Plan W , dem Frauenwirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung  und dessen Essay  Weiterbildung muss radikaler gedacht werden von Larissa Holzki aufmerksam wurde.¹ Plan W legt an einer Stelle besonders den Finger in die Weiterbildungswunde: "Ihrem persönlichen Karriereweg nützt sie [die Weiterbildung] erst mal nicht - außer Sie mögen Stillstand". Dazu wird verwiesen auf eine entsprechende Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) aus dem Jahr 2018. ²

Die Studie erscheint zunächst vielversprechend, da ihr Daten über lange Zeiträume erhoben wurden: der Adult Education Survey wird  im zweijährigen Rhythmus durchgeführt, das Nationale Bildungspanel (NEPS)  erhebt jährlich seine Daten.  Doch darin liegt die Crux: Längsschnittstudien sind ideal für Datenqualität und Beobachtung von Entwicklungen. Doch was, wenn sich der Gegenstand der Untersuchung im Laufe der Jahre (in diesem Fall seit 2009) transformiert?

Die zentrale These des WZB mutet pessimistisch an, denn sie möchte Weiterbildung am Maßstab einer klassischen Karriereleiter messen.

Genau das ist anachronistisch. Denn es mangelt nicht an einer angemessenen Wertschätzung von Bildung, sondern an einem neuen Verständnis sowohl von Weiterbildung, als auch von Karriere:

  • Weiterbildung ist nicht Luxus, Incentivierung, Blaupause, Entwicklungsziel, sondern schlicht und einfach ein fast täglicher Bedarf.
  • Diesem Bedarf kommt eine Fremd-Organisierte Weiterbildung nicht mehr nach.
  • Qualifikationen treten in den Hintergrund, Kompetenzen in den Vordergrund.
  • Wenn ganze Branchen und Konzerne disruptieren, Innovationszyklen schneller werden, dann bleibt kein Platz für lineare Karriereleitern für jeden: aus Hierarchien werden Netze.
  • Teams werden volatil, interdisziplinär.
  • Experten-Rollen werden diskontinuierlich.
  • Der Anteil der fachlichen Kompetenzen von Führungskräfte verschiebt sich hin zu "menschlichen" Leadership-Kompetenzen.

Zwei Punkte darüber hinaus:

  1. Würde Weiterbildung alleine über den Verlauf von Karrieren entscheiden, wäre das nicht sehr auffällig reduziert und vereinfacht?
  2. Der Nachweis von Wirksamkeit von Bildungsmaßnahmen ist der heilige Gral von HR und Personalentwicklung. Was auf den ersten Blick empirisch simpel erscheint, scheitert an der Vielfalt der Einflußfaktoren und am Zauber der Singularität des menschlichen (Lern-) Verhaltens. Dementsprechend wäre das Postulat "Weiterbildung für Karriere" schwer belegbar.

Vision oder Illusion

Wer heute davon ausgeht, dass Weiterbildung alleine den Freifahrtschein für Aufstieg liefert, folgt wohl einer Illusion.  Deshalb gilt neben dem Plädoyer für ein selbstgesteuertes Lernen, mein Appell einer Bildung zum Selbstzweck: Bildung um der Bildung willen. In diesem Kontext Bedarf es einer Besinnung auf den tatsächlichen Bildungsbegriff. Dieser wurde kürzlich z.B. ganz wunderbar von Aileen Moeck in ihrem Artikel Let's talk about Bildung wiederbelebt.


1 Plan W 2/2019 lag gedruckt am 08. Juni 2019 der Süddeutschen Zeitung am Wochenende bei.

2 Link auf die entsprechende Pressemitteilung des WZB vom 10.12.18, zuletzt aufgerufen am 30.6.19

 

Photos by Christian Fregnan, Ruthson Zimmerman and Brendan Church on Unsplash

 

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