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Content was King

Alles was wir an Informationen aufnehmen ist ein Lerninhalt – ob wir es wollen oder nicht.  Digitale Lerninhalte sind nicht von anderen digitalen Inhalten abzugrenzen. In der digitalen Ursuppe ist das alles eins: Internet, Intranet, Socialnet, Lernplattform, Videoplattform. Nicht ohne Grund brechen unsere lieb gewonnenen Lernsysteme auf und werden zu Ecosystems, Metaebenen, offenen Schnittstellen.  Wahrscheinlich sind diese Systeme für deren Anbieter eine letzte Ehrenrunde, denn spätestens mit der nächsten Evolutionsstufe, wird das Anbieten von Lerninhalten keine eigene Disziplin mehr sein.  

Das hat auch Konsequenzen für die Hoheit des Lernanbieters:  was man mal Lernstoff nannte, wird dezentralisiert. Doch was bedeutet das für die Vertrauenswürdigkeit von Lerninhalten? 


Was für das Web gilt, gilt auch für das Online-Lernen

Im E-Learning 1.0 gilt es den Inhalten aus aus Web-based Trainings, die man als Mitarbeiter ausgerollt bekommt, zu vertrauen. Schließlich entstammen sie den Freigabeprozessen der HR - oder Fachabteilung. So wie inzwischen aber jedermann zum (potentiellen) Content Provider im Web wird, kann auch jeder Lerninhalte kreieren und verbreiten. Die offensichtliche Qualität der Produktion ist kein Gradmesser mehr für inhaltliche Qualität. Online-Publikationen (also Lerneinheiten), ob Video, Website, Blog, Podcast bis hin zum WBT lassen sich heute mit geringsten Aufwänden erstellen.  Ihre Formate  stehen oft denen in nichts nach, die vor einigen Jahren noch Medienbudgets verschlungen haben.  Apps, Online Tools, Freeware, OpenSource und sinkende Soft- und Hardware-Kosten machen's möglich.

Angebot und Nachfrage ergänzen sich gut. Der moderne E-Learner wartet nicht auf den autorisierten Content, denn sein Lernbedarf ist akut und kleinteilig. I.d.R ist er gleichzeitig auch Provider in einer Shared Learning Economy. Er nimmt das Heft in die Hand und geht dabei das Risiko des Trial & Errors ein, denn u.U. löst erst das fünfte von sieben YouTube Videos sein Problem. 


Die Krise des Web 2.0 als Blueprint für das eLearning 2.0?

Populismus, Trump, Brexit, Cambridge Analytica etc. haben die Krise 1.0  des Web 2.0 offenbart. Der User ist in zweierlei Hinsicht verunsichert:

  1. Woher kommt der Content und ist er wahr?
  2. Welche Daten hinterlasse ich und wo gehen sie hin?

Diese Krise des Online-Lebens schlummert auch im Online-Lernen. Noch scheint sie kein großes Thema. Fehlt hier nur der Trump-Moment des E-Learnings?

Glaubt man aktuell zu vernehmenden Trends, geht E-Learning gerade die Schritte, die Facebook mit dem Rücken an die Wand geführt haben und uns eine Filterbrille aufsetzen werden:  

  • Content Curation: Algorithmen kuratieren den Lerninhalt,  mit KI-nahen Verfahren wird guter von schlechtem Inhalt unterschieden.
  • Learning Analytics: Lernereigenschaften und -verhalten sollen werden auf Datenbasis verarbeitet und Maßnahmen abgeleitet.

Vier Hebel für ein gesundes Lern-Ökosystem

Wie ist ein Ökosystem für das Lernen (und Arbeiten!) zu gestalten damit es den Ansprüchen und Zielen von Lernern und   Lernanbietern gerecht wird? (Ich bleibe beim Begriff Lernanbieter und meine damit im weitesten Sinne:  HR, Learning and Development, Kommerzielle Anbieter, Bildungseinrichtungen etc.). 

  1. Content Curation und Learning Analytics  (in transparenter Art und Weise) sind kein Teufelswerk. Um die oben aufgeführten Begriffe ordentlich zu parken: Kursempfehlungen, Rankings, Verknüpfungen, adaptive Lernpfade, Benachrichtigung des Anbieters bei hohen Abbruchquoten usw.: warum nicht? Bei der Bewältigung der Informationsflut ist jedes sinnvolle Werkzeug willkommen. 
  2. Das gleiche gilt für Social Learning (aber ohne Filter). Hier geht es um mehr als um Likes. Lern Communities, Communities of Practice, Working Out Loud (Like!)  Die Tools sind da, der Kultur-Samen ist gesät. Hoffentlich kommt kein Rasenmäher. Womit wir wären bei der
  3. zu gestaltenden Lernkultur: Die Verantwortung des Lernens geht erdrutschartig auf den Lerner über. Das fordert beide Seiten, Lerner und Lernanbieter. Der Anbieter muss verstehen, dass er es nicht mit  Zöglingen, sondern mit Erwachsenen zu tun hat. Der Lerner bekommt die (Selbst-) Verantwortung, die damit beginnt sich für das Lernen zu entscheiden, die Mittel zu wählen und den Inhalt (Content is King?) zu hinterfragen.  Das wird oft nur funktionieren mit Lernanbietern 2.0: den Lernbegleitern, Moderatoren, Coaches, Mentoren, die o.g. Punkt "2." fördern und die wir dann brauchen, wenn es nicht nur um eine unmittelbare Fertigkeit geht, also nicht Training sondern  Bildung ("the german Bildung"). Denn Lernen in Modulen entwickelt keine Denkmuster.
  4. Diversifikation erlauben und ermöglichen: die Wirtschaftswissenschaft sagt, dass Diversifikation den Aufwand erhöht, doch  Risiken vermindert. Ein gesundes Lernökosystem muss Inseln erlauben, one size does not fit all. Um den Kreis zum Content zu schließen: es gibt Inhalte die sich nicht diskutieren lassen – Medizin, Recht, das Herunterfahren eines Atomkraftwerks. Welcher Patient wünscht sich da keinen menschlichen Content Kurator  aus der Expertenabteilung?

Vision oder Illusion?

Technologie, die soziale Dimension des Lernens, eine Lernkultur für das selbstgesteuerte Lernen und Diversifikation sind vier Stellschrauben die den Unterschied zwischen Vision und Illusion ausmachen können.  Der Unterschied ist nicht nur eine Nuance. Es geht um viel: die digitale Transformation wird ohne eine Transformation des Lernens anders verlaufen.  

Infografik "4 Hebel für ein gesundes Lern-Ökosystem", Strg-L.de


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Kommentare: 2
  • #1

    Peter Ueberfeldt (Dienstag, 05 Juni 2018 11:45)

    Hallo Herr Andre,
    Ihr Beitrag ist anregend und weitestgehend teile ich Ihre Meinung. Er hat mich zu folgenden Gedanken geführt: Beim Lernen möchte ich unterscheiden zwischen dem Lernen für den Wissenserwerb zur Ausführung einer bestimmten Rolle im Berufsleben und dem Lernen, welches der persönlichen Identitätsbildung dient (i.S.v. worin sehe ich den Sinn meines Lebens, was sind meine Werte und meine Glaubenssätze und passen die noch). Für ersteres findet man sicherlich problemlos Content-Anbieter und die Motivation zu lernen folgt zwanghaft aus der Notwendigkeit, sich am Leben zu erhalten. Dieser Druck besteht nicht beim Lernen im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung - zumindest nicht in dem Maße. Doch für die Orientierung in dieser VUCA-Welt ist ein "big picture" hilfreich wenn nicht unverzichtbar, will man Gestalter und nicht bloß Konsument sein. Für diesen Teil des Lernens muss der Antrieb dazu aus einem selbst kommen. Dabei geht es insbesondere um die Fragen: was macht Sinn zu lernen und welchen Quellen vertraue ich mich an. Antworten???
    Freundliche Grüße

  • #2

    Oliver Andre (Dienstag, 05 Juni 2018 15:44)

    Hallo Herr Ueberfeldt,

    herzlichen Dank für die ebenso anregenden, ergänzenden Gedanken.
    Ich erkenne in Ihrer Unterscheidung meine angedeutete Unterscheidung zwischen Training und Bildung wieder. Oder auf einem anderen Level: Training für das digitale Umfeld vs. Bildung für ein Leben im digitalen Umfeld. Ich bin mir allerdings sicher, dass die sehr deutliche Mehrheit von Diskussionen, Produkten, Konzepten, Angeboten, um den ersten Bereich kreisen. Nicht von ungefähr, denn Antworten und Lösungen sind hier sicher einfacher zu erfassen (verkaufen?).
    Große Herausforderung für „Fall 2“: wir handeln (auch beim Lernen) im Grunde nutzenorientiert, d.h., sind moviert, wenn sich das Lernen „lohnt“. Der Nutzen ist vielleicht mal das Zertifikat, die Beförderung, der Lebenslauf, oder eben der praktische Lernerfolg in Form einer Problemlösung. Das klappt dann umso besser, je kurzfristiger die Belohnung erfolgt. Hier sehe ich die Herausforderung bei „Ihrem“ Big Picture und „meiner“ Bildung: die Belohnung / Bestätigung ist nicht unmittelbar, sie kommt um die Ecke oder wenn sich das Bild zusammengefügt hat. Wie kann ich meinen Belohnungstrieb austricksen und ausnutzen:
    - Selbstreflektion: was und wie habe ich rückblickend gelernt und daraus ableiten was mich weiterbringt?
    - Fremdreflektion: Feedback einholen, von anderen lernen
    - Reflektion i.d. Gemeinschaft (eine der schönen Eigenschaften von z.B. WOL-Working Out Loud inkl. Perspektivenwechsel), Coaching, Mentoring
    (Schöne Herausforderung für die lerntechnologische Branche: Wie kann man das unterstützen?)
    Aus dem diesem Setting können sich dann auch die bewährten Quellen kristallisieren.