
Der Digitalverband Bitkom veröffentlicht die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zur "Arbeit und Qualifizierung in der digitalen Welt". Manche Daten sind interessant, doch wer aus dieser Quelle neue Ein- und Ausblicke erwartet, wird enttäuscht. Mit Kernthesen wie "Mit der Digitalisierung verändern sich Berufe oder verschwinden ganz – und neue entstehen", drängt sich die Erinnerung an das Merkel'sche Internet-Neuland auf.
Der Besuch der alten Dame
Die alte Dame E-Learning wird heute häufig nicht mehr unter ihrem Mädchennamen ausgeführt. Sie trägt das gleiche Outfit, aber unter dem neuen Namen Digital Learning. Leider vermehren sich auch abgeleitete Thesen, Veröffentlichungen und Meinungen, die 10 oder mehr Jahre alt sein könnten. Dabei stecken im Detail der Zahlen aus der Studie einige interessante Aspekte.
Deutliche Zahlen setzen den Ton
Die ersten Zahlen sind unmissverständlich und deutlich. Die Befragten stimmen wie folgt zu:
- 92%: Im Zusammenhang mit Digitalisierung wird lebenslanges Lernen immer wichtiger.
- 89%: Weiterbildungen zu Digitalthemen erhöhen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
- 88%: Um im Beruf erfolgreich zu sein, muss man sich heute auch zu digitalen Technologien weiterbilden.
Bei einer Stichprobengröße von 1.010 ist zu hoffen, dass die soziale Erwünschtheit als naheliegender Distraktor berücksichtigt wurde. Zudem: das Alter der Befragten bei diese Frage war ab 14 Jahren!
Eine erste "starke" Zahl sind die genannten 80% der Befragten für die digitale Technologien eine große Bedeutung für ihre tägliche Arbeit haben. Wenn dem so ist, dann widerlegt das die häufig aufgeführte These, Digitalisierung sei aktuell noch ein Thema der (Ober-) Klasse der Denkarbeiter. Dass 77% Digitalkompetenz als wichtig bewerten, ist dann natürlich folgerichtig.
Angebotslücken
Aufsetzend auf den vorhergehenden Zahlen ist es dann aber eher unlogisch, dass deutliche Mehrheiten zu diversen Digitalthemen keine Weiterbildung gemacht haben, da sie diese für ihren Job auch nicht für relevant halten.
Nichtsdestotrotz wird kurz darauf wohl unzufrieden attestiert, für die Weiterbildung vom Arbeitgeber keine Zeit eingeräumt zu bekommen (72%) oder diese nicht angeboten zu bekommen (59%)

Nicht nur beim Kochen die zweite Wahl
Privat schließen die Befragten diese Lücken nicht. Hier steht als Lernthema "Ernährung und Kochen" auf Platz Eins. Erst das *ressen, dann das Digital(e). Hier und auch bei den weiteren privaten Lernthemen wird im Schnitt nur ca. die Hälfte mit digitalen Mitteln gelernt.
Selbstverständlich können wir uns "Dank digitaler Technologien [...] immer und überall weiterbilden" (87%), und natürlich: "Digitales Lernen macht mehr Spaß als klassische Lernformate" (43%). Willkommen im Jahre 1995!
Als letzte Tatsache muss uns der Herausgeber dann noch vermitteln, dass Online-Tutorials, Lern-Apps und MOOOCs digitale Lernformate sind. Danke!
Zurück zum Ernst
Ich bin kein Empiriker, aber ein kleines methodische Störgefühl verbleibt: zum einen schwankt die Stichprobengröße teilweise extrem zwischen ca. 500 und ca 1.000. Die Erhebungsgruppe setzt sich machmal aus Erwerbstätigen und manchmal aus Bundesbürgern ab 14 Jahren zusammen.
Doch schwerer wiegt, was völlig außen vor gelassen wird:
- Informelles und soziales Lernen statt des Wartens auf ein passendes Lernangebot oder eines Lernens auf Vorrat.
- Die Verschmelzung von Arbeiten und Lernen statt einer sequentiellen Betrachtung.
- Die gesamt-gesellschaftliche Bedeutung der Volatilität von Tätigkeitsprofilen, statt der Floskel eines lebenslangen Lernens als Allheilmittel.
Oder in anderen Worten: Themen aus dem Jahr 2017!
Strg-L denkt: ALTE VISION
Quelle: Arbeit und Qualifizierung in der digitalen Welt, Achim Berg, Bitköm-Präsident, Berlin, 17. November 2017 (https://www.bitkom.org/Presse/Anhaenge-an-PIs/2017/11-November/Bitkom-Charts-Qualifizierung-17-11-2017-final.pdf, zuletzt aufgerufen am 13.11.17.)
Photos by Andrea Sonda and Caroline Attwood on Unsplash
Kommentar schreiben